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Anekdoten aus dem Leben des bedeutenden Physikochemikers Ulrich von Weber

Ulrich von Weber (Foto: UAR).
Ulrich von Weber (Foto: UAR).

Professor Ulrich von Weber [1] war von 1953 bis 1973 Direktor des Instituts bzw. des Wissenschaftsbereichs für Physikalische Chemie an der Universität Rostock. Er war ein engagierter Wissenschaftler, für den die
Verknüpfung zwischen Praxis und anwendungsbezogener Theorie der Ausgangspunkt seiner Arbeit war. Daneben war er eine kosmopolitische Persönlichkeit, die Natur und Menschenliebe und viele kleine charakterliche Eigenheiten auszeichnete. Dazu gehört auch eine Familie mit sechs Kindern, die er mit seiner Frau geb. Chrustschowa, die einer weißrussischen Adelsfamilie entstammte, gründete.

Seine wissenschaftliche Leistung wurde 1990 von seinen Schülern Günther Opel und Günter Figurski gewürdigt [2]. Er hat Techniken und Apparaturen hinterlassen, die so durchdacht und auf das Wesentliche reduziert waren, dass einige heute noch in der Studentenausbildung Verwendung finden (siehe Abbildung re.). Lange bevor es zu einem Schlagwort wurde, lagen ihm Umweltschutz und Nachhaltigkeit am Herzen. Die letzte Diplomarbeit, die er ausgab, beschäftigte sich mit dem Recycling von Glas zu Sinterplatten mit hoher thermischer Isolationsfähigkeit.

Hier soll, soweit es aus den Quellen der spärlicher werdenden Zeitzeugen noch zu erfahren war, seine menschliche Seite geschildert werden. Sicherlich war es ein Zeichen von Zuneigung und Achtung, dass im Kreis der Kollegen und Doktoranden über ihn allgemein nur unter Verwendung seiner Initialen, nämlich „UvW“, gesprochen wurde, was im Folgenden in diesem Sinne verwendet werden soll.

Seine wissenschaftlichen Ideen haben Bestand und wurden von Günther Opel über viele Jahre weiterentwickelt. Sein Verhältnis zur Lehre wird als ambivalent beschrieben. Bekannt ist, dass er des Öfteren zehn Minuten zu spät mit voller Einkaufstasche zur Vorlesung im Hörsaal II der Chemie in der Buchbinderstraße erschien. Seine Rhetorik hing stark von seiner Stimmung ab. Es lag ihm wohl nicht so sehr, bekannte Dinge Jahr für Jahr erneut mit Begeisterung vorzutragen. Da Physikalische Chemie von den „Durchschnittschemikern“ auch damals mit Abstand betrachtet wurde, waren die Vorlesungen demzufolge schwach besucht. Das Tafelbild, das die nicht abzuschreckenden Studenten in ihre Mitschriften übertrugen, war jedoch exzellent und brauchbar für die Prüfung. In der wiederum schlief UvW zuweilen ein, um dann den ratlosen Prüfling mit den Worten zu verabschieden: „Ja, da steht ja viel da.“

Praktikumsapparatur zur Bestimmung der molaren Masse von Flüssigkeiten nach dem Prinzip von Victor Meyer, verbessert durch Ulrich v.Weber (Grafik: [3]).
Praktikumsapparatur zur Bestimmung der molaren Masse von Flüssigkeiten nach dem Prinzip von Victor Meyer, verbessert durch Ulrich v. Weber (Grafik: [3]).

UvW hatte sich nach seinen Erfahrungen, die er im Zweiten Weltkrieg in Mühlheim als Wissenschaftler bei der Treibstoffentwicklung gesammelt hatte, für ein Leben in der DDR entschieden. Demzufolge stand auch Karl Marx, der genau 100 Jahre älter ist als er, bei ihm hoch im Kurs. So war es auch an seinem 60. Geburtstag, auf dem der Arbeitsschutzinspektor der Universität, der ebenfalls gerade 60 Jahre alt wurde, ein Hoch auf UvW und Karl Marx ausbrachte. Während sich die beiden Jubilare darüber angeregt unterhielten, machten sich die zehn Doktoranden und Aspiranten über die kalten Platten des Geburtstagsbuffets her und UvW konnte am Schluss nur noch die Restbrösel von den Platten wischen.

UvW war naturverbunden, aber nicht als Schwärmer, sondern um sich einzugliedern und sich in gewisser Weise mit der Natur zu messen. Zu seinen Gewohnheiten zählte Radfahren und regelmäßiges Baden in der Ostsee, sommers wie winters. Das berichteten Mitarbeiter, die zur Winterzeit nach einem Bad im geheizten Schwimmbad des Hotels Neptun in Warnemünde im Hotelrestaurant auf UvW trafen. Beide Seiten stellten nach kurzer Begrüßung fest, dass sowohl die Mitarbeiter als auch UvW vom Baden kamen. Mit dem Unterschied, dass UvW zum allgemeinen Erstaunen der winterlichen Ostsee entstiegen war, ohne dem etwas Besonderes beizumessen.

Auch die Sommerzeit verbrachte UvW gern an der Ostsee, soweit seine Präsenz an der Uni nicht zwingend erforderlich war. Sein bevorzugter Badeort war der FKK-Strand am Rosenort. So widerfuhr es einem seiner Diplomanden, als dieser seinem Chef das Manuskript seiner Diplomarbeit übergeben wollte, dass er ihn im Institut wiederholt nicht antraf. Da alle weiteren Versuche, sich zu treffen, fehlschlugen, wurde das Manuskript in der Folge immer über die Sekretärin der jeweils anderen Partei zugeleitet, wobei UvW seinen Teil der Korrekturen am Strand vornahm, wie der feine Ostseesand verriet, der aus dem Manuskript rieselte.

UvW liebte es auch, mit Gleichgesinnten auf einfache Weise in der Natur zu reisen und sich autonom zu ernähren. So war er mit einem befreundeten Professor der Geologie (wahrscheinlich Kurd von Bülow) im Rila-Gebirge in Bulgarien zum Zelten. Nachdem einmal selbst gesammelte Pilze auf dem Speisezettel standen, fühlte sich der Geologe sterbenskrank. UvW stellte lediglich fest, dass es bei ihm auch „etwas gedrückt“ hatte und kommentierte abschließend: „Wird wohl ein schlechter Pilz dabei gewesen sein.“

Es muss wohl auf dieser Zelttour gewesen sein, als sich des Nachts ein Bär an den Nahrungsmittelvorräten zu schaffen machte. Beide erwachten vom Schnaufen des Bären und verhielten sich ruhig. Zu Hause berichtete UvW das Ereignis beiläufig seinen Mitarbeitern. Auf die Frage hin, was ihm während der Visite des Bären durch den Kopf gegangen war, antwortete er lapidar: „Wenn er uns tötet, steht vielleicht zu Hause in der Zeitung: ‚Professor von Weber wurde im Rila-Gebirge von einem Bären gefressen‘.“

UvW war, wie es zu einem zerstreuten Professor gehört, meist mit den Gedanken bei anderen Dingen. So kam es auf der 1969 vom Institut für Physikalische Chemie ausgerichteten internationalen Thermodynamik-Tagung dazu, dass UvW zur Eröffnung des Banketts in der Mensa eine Rede hielt, danach jedoch vergaß, das Buffet zu eröffnen. Alle Gäste warteten betreten, bis dann jedoch das Buffet von den hungrigsten Rostocker Mitarbeitern kurzerhand selbst eröffnet wurde.

Eine oft erzählte Begebenheit ist eine Begegnung mit dem Professor der Mathematik Ludwig Holzer. Professor Holzer kam aus Österreich und stand Professor von Weber, der einer Akademikerfamilie aus Würzburg entstammte, in puncto Höflichkeit nicht nach. Professor Holzer, stark kurzsichtig, kam von einer Vorlesung aus dem Institut für Physikalische Chemie in der Hermannstraße und ging in Richtung Innenstadt. Auf dem Weg begegnete er UvW, der seinerseits aus entgegengesetzter Richtung aus dem Hörsaal in der Buchbinderstraße kam. Beide Professoren begrüßten einander auf das Höflichste und umkreisten einander im Gespräch. Nachdem der Etikette Genüge getan war, ging jeder eilig seines Wegs. Bis plötzlich beiden – nahezu gleichzeitig – klar wurde, dass sie genau in die Richtung gingen, aus der sie gerade gekommen waren. Jeder für sich machte kehrt, man lüftete den Hut nochmals zuvorkommend bei der erneuten Begegnung und die Sache war behoben.

Jochen Lehmann, Dezember 2019

Der Autor dankt Prof. em. Eckhard Vogel und Dr. Eckard Bich für die vergnügliche Zusammenkunft zur Zusammenstellung der Informationen.

Quellen:

[1] Eintrag zu Ulrich von Weber im Catalogus Professorum Rostochiensium: purl.uni-rostock.de/cpr/00002373.
[2] G. Opel, G. Figurski: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, N-Reihe, 39 (7), 1990, S. 118 –132.
[3] J. K. Lehmann: Praktikumsanleitung zum Physikalisch-chemischen Grundpraktikum. Universität Rostock, Institut für Chemie.